Ich bin Schwester Mary Ajita, SND und arbeite seit 1983 mit der ländlichen Bevölkerung von Bihar. Meine Hauptaufgabe besteht darin, Frauen und Mädchen im sozialen, schulischen, politischen und wirtschaftlichen Bereich zu helfen. Die Frauen in unserer ländlichen, vom Kastensystem bestimmten Gesellschaft sind in den meisten Lebensbereichen leicht angreifbar. Sie werden benachteiligt, weil sie Frauen sind, weil sie arm und ohne Schulbildung sind, und sie stehen am Rande der Gesellschaft.
Trotz dieser Behandlung haben sie ein angeborenes Empfinden für Gerechtigkeit und sie kämpfen um ein Leben in Würde.Als ich anfing, mit diesen armen Menschen zu arbeiten, hatte ich nur ein sehr oberflächliches Verständnis von ihren Problemen. Allmählich lernte ich mehr und durchschaute den Grund dieser Probleme. Ihre Hauptursache liegt in der Ungerechtigkeit, in der Ausnutzung der schwächsten Schicht der Gesellschaft durch die Mächtigen und durch die Menschen mit starken eigennützigen Interessen. Daher hat sich meine eher karitative Motivation, mit den Armen zu arbeiten in eine Tätigkeit gewandelt, die sich eher an die Menschenrechte orientiert. Jeder Mensch hat als Kind Gottes ein Recht auf ein Leben in Würde, auf Respekt und auf Freiheit. Aber vielen werden diese Rechte nicht gewährt. Ich glaube, der einzige Weg für die Armen, diese Rechte zu erhalten ist, dass sie selbst aktiv und eigenständig werden. Ihre Macht liegt in ihrer Zahl und in ihrer Entschlossenheit, sich gemeinsam für Gerechtigkeit einzusetzen.
Unsere Haupttätigkeit besteht darin, die betroffenen Menschen zu organisieren. Durch verschiedene Prozesse der Bewusstseinsbildung stärken wir die Gruppen und helfen ihnen, auf die Regierung und ihre durchführenden Organe Druck auszuüben. Die Menschen wissen, wenn sie ungerecht behandelt werden und sie unternehmen Schritte gegen diese Ungerechtigkeiten, indem sie gemeinsam handeln. Kleine Erfolge in diesen Bemühungen geben ihnen Mut und Zuversicht, weiterzumachen. Hier eine kleine Erfolgsgeschichte:
Am 15. August 2012, dem Tag der Unabhängigkeit Indiens, an dem der Verkauf von Alkohol verboten ist, wurde in einem Sisirta Dorf Alkohol verkauft. Einige Männer des Dorfes hatten Alkohol getrunken und einen Streit angefangen. Einer der Männer, die in dem Streit geschlagen wurden, war der Mann einer Frau, die Mitglied einer Selbsthilfegruppe für Frauen ist. Sie bat die Gruppe um Hilfe. Die Mitglieder der Gruppe sorgten unverzüglich für eine Behandlung, sie informierten die Polizei und veranlassten den Ladenbesitzer, sein Geschäft zu schließen. Am folgenden Tag ging eine große Gruppe von Frauen aus den umliegenden Dörfern zum zuständigen Bezirksleiter und verlangten von ihm, dem Geschäft die Lizenz des Alkoholverkaufs zu entziehen und gegen die Übeltäter vorzugehen. Das Geschäft blieb mehrere Tage geschlossen, bis ein Kompromiss zwischen den Frauen und den Ladenbesitzern gefunden wurde. Dieser tatkräftige Einsatz der Frauen war eine deutliche Botschaft an alle Beteiligten, dass man Frauen nicht mehr unberücksichtigt lassen kann.
]Der Kampf um Gerechtigkeit ist nicht leicht, aber schließlich trägt er Früchte. Der Prozess hat begonnen!
Schwester Mary Ajita, SND
Mariä Himmelfahrt Provinz, Patna, Indien